Quantcast
Channel: FILM & TV KAMERAMANN » 35
Viewing all articles
Browse latest Browse all 5

29. Torino Film Festival: Newcomer und Altmeister

$
0
0

Torino Film Festival 2011, Skulptur auf der Piazza Castello. Foto: Torino Fim Festival.Beim 29.Torino Film Festival standen vom 25.11. bis zum 3.12.2011 rund 200 Spiel, Dokumentar- und Kurzfilme aus aller Welt auf dem Programm. Im internationalen Spielfilmwettbewerb «Torino 29», in dem traditionell Nachwuchstalente ihre Debütfilme und zweite oder dritte Regiearbeiten vorstellen, dominierten Geschichten über Freundschaft und Hilfsbereitschaft.
Den auf 20.000 Euro dotierten Preis für den besten Film erhielt der isländische Filmemacher Hafsteinn Gunnar Sigurdsson für sein Erstlingswerk À ANNAN VEG (EITHER WAY), bei dem sein Kameramann Àrni Filippusson im Format 1:2,35 auf lange Einstellungen, große Bildausschnitte und Kamerafahrten gesetzt hat, um den «Handkameralook» typischer Low-Budget-Produktionen zu vermeiden.

Diese Geschichte über eine ungewöhnlichen Männerfreundschaft in der isländischen Einöde,  die durch weibliche Geister bereichert wird, wurde zudem mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet.

Die Preise für den Spielfilmwettbewerb vergab eine fünfköpfige internationale Jury unter Vorsitz des amerikanischen Filmemachers Jerry Schatzberg, welcher der Hollywoodproduzent Michael Fitzgerald, die italienische Schauspielerin Valerie Golino, der philippinische Filmemacher Brillante Mendoza sowie der französische Produzent Hubert Niogret angehörten. Den mit 8.000 Euro dotierten Spezialpreis der Jury teilten sich der französische Debütfilm 17 FILLES von Delphine und Muriel Coulin über 17 junge Mädchen, die beschließen gleichzeitig schwanger zu werden, mit dem libanesischen Drama TAYEB, KHALAS, YALLA (OK, ENOUGH, GOODBYE) von Rania Attieh und Daniel Garcia, der bei dieser Produktion zugleich für Kamera, Musik und Schnitt verantwortlich zeichnet. Ein 40jähriger Mann, der sein ganzes Leben mit seiner Mutter zusammen gelebt hat, ist plötzlich auf sich allein gestellt und sucht verzweifelt Gesellschaft.

Renate Krössner beim Torino Film Fest 2011. Foto: Torino Film Fest.Eine neue Freundschaft knüpft auch der Protagonist in dem britischen Gefängnisdrama GHOSTED, das Martin Compston in Turin den Darstellerpreis einbrachte (Regie: Craig Viveiros, Bild: James Friend).
Den Preis als beste Darstellerin erhielt die deutsche Schauspielerin Renate Krößner (Foto rechts) für ihre Rolle in VERGISS DEIN ENDE, den Andreas Kannengießer als Abschlussfilm an der HFF «Konrad Wolf» in Potsdam realisiert hat. In diesem Drama kann eine Ehefrau es nicht länger ertragen, ihren demenzkranken Mann zu pflegen und ergreift mit Hilfe ihres Nachbarn kurzerhand die Flucht (weitere Darsteller: Dieter Mann, Hermann Beyer, Eugen Krößner, Nadine Pasta; Buch: Nicolas Woche, Szenenbild: Adán Hernández Salazar, Barbara Falkner, Bild: Stefan Fallucchi, Ton: Marco Weichler, Silvio Naumann, Paul Rischer, Musik: Martin Spange, Montage: Andreas Kannengießer, Mirja Gerle, HDCam-SR, Farbe, 94 min).

Aki Kaurismäki und Gianni Amelio beim Torino Film Fest 2012. Foto: Torino Film FestivalFür seine außergewöhnliche Bildsprache mit dem Gran Premio Torino ausgezeichnet wurde der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki (auf dem Foto mit Festivalleiter Gianni Amelio, rechts), der sein jüngstes Werk LE HAVRE persönlich in Turin vorstellte, das wieder sein langjähriger Kameramann Timo Salmimen fotografiert hat. «LE HAVRE besteht aus vielen Farben», sagte Kaurismäki, «es ist schwer, Farben einzusetzen, weil sie keine Gnade kennen. Ich wähle zum Beispiel niemals Grün, weil der Umgang damit sehr schwer ist, wenn es sich nicht im Wald befindet. Ich bevorzuge wie Ozu in seinen Filmen Blau- und Grautöne, weil sie zeigen, dass wir in einer Welt leben, in der wir jeden Morgen wieder aufwachen.» Den Gran Premio sollte ihm ursprünglich Penélope Cruz überreichen, die in Turin derzeit unter der Regie von Sergio Castellito in dem Kinofilm VENUTO AL MONDO vor der Kamera steht. Das finnische entfant terrible lehnte es jedoch ab, die Auszeichnung aus den Händen der L’Oréal-Werbebotschafterin entgegenzunehmen. Stattdessen übergab dann der Festivalleiter Gianni Amelio ihm persönlich die Trophäe. «Ich weiß nicht, ob ich diesen Preis verdiene, aber es ist eine Ehre, ihn zu bekommen», erklärte Kaurismäki in seiner typisch lakonischen Art.

Mehr zu LE HAVRE und zur Kameraarbeit überhaupt von Aki Kaurismäkis langjährigem Kameramann Timo Salminen, FSC, AIP, ab dem 20.1.2012 in der neuen Ausgabe des FILM & TV KAMERAMANN!

Erste Früchte trug auf dem Festival das 2008 gestartete Torino Film Lab, das mit Know-how und finanziellen Mitteln nachhaltig die Entwicklung von ambitionierten Filmprojekten unterstützt. «Das Lab ist ein Entwicklungslabor, das aufstrebende Filmemacher von ihrer ersten Idee bis zur Realisierung des fertigen Films in allen Stufen der Produktion begleitet», erklärte Savina Neirotti, Leiterin des Labs. Dabei sei die Arbeit in drei Etappen strukturiert: die Workshops, das Treffen mit internationalen Produzenten während des Festivals und die tatsächliche Produktion des Films.

Auf dem Festival liefen vier Spielfilme, die mit Hilfe des Torino Film Lab entstanden sind. Zu ihnen gehörte die deutsch-portugiesische Koproduktion SWANS von Hugo Vieira da Silva (Bild: Reinhold Vorschneider: Schnitt: Andrea Wagner), das in israelisch-deutscher Co-Produktion entstandene Drama HANOTENET (THE SLUT) von Hagar Ben Asher (Bild: Amit Yasour) und das thailändische Drama HI-SO (Bild: Umpornpol Yugala), in dem Adiya Assarat beschreibt, wie die Kultur im Internet-Zeitalter durch Bildung und Geschmack geprägt wird. Als Work in Progress gezeigt wurde der Coming-of-Age-Film I’M GOING TO CHANGE MY NAME A.K.A. ALAVERDY von Maria Saakyan  (Bild: Mkrtich «Mko» Malkhasyan), an dem von deutscher Seite Helge Albers mit der Flying Moon Filmproduktion beteiligt ist.

SWANS, Szenenfoto.

Ralph Herforth und Maria Schuster in SWANS. Foto: The Match Factory.

In dem Film SWANS des 1974 geborenen Portugiesen Hugo Vieira da Silva kommen ein Vater und sein Sohn nach Berlin, um die Mutter zu besuchen, die im Krankenhaus im Koma liegt. Der Vater hat sie seit Jahren nicht gesehen, der Sohn noch nie getroffen. Der Film spielt fast nur an zwei Motiven, im Krankenhaus und in der Wohnung, wo Vater und Sohn vorübergehend wohnen und auch noch auf einige andere Personen treffen. ,Es ist eine Situation, die alle mit ihrer Vergangenheit und ihrem Lebensentwurf konfrontiert. Mehr zur Arbeit von Kameramann Reinhold Vorschneider im Interview bei uns in Heft 3/2011 und in Auszügen online hier.

Ein Höhepunkt auf dem 29. Torino Film Festival war die Robert Altman gewidmete Retrospektive mit 40 Filmen, die von den Schauspielern Keith Carradine und Michael Murphy, der Witwe Kathryn Altman sowie ihrem Sohn Stephen Altman vorgstellt wurde. Neben Kinoklassikern wie M*A*S*H (Bild: Harold E. Stine), NASHVILLE (Bild: Paul Lohmann) oder THE PLAYER (Bild: Jean Lépine) wurden auch Altmans frühe Werke wie THE DELINQUENTS (Bild: Charles Paddock) sowie verschiedene Fernseharbeiten wie die BONANZA-Folge SILENT THUNDER (Bild: William E. Snyder) oder TANNER ON TANNER (Bild: Robert Reed Altman, Tom Richmond) gezeigt.

Beschlossen wurde das Festival mit der Preisverleihung und zwei Galavorstellungen. In dem irischen Historiendrama ALBERT NOBBS von Rodrigo García (Bild: Michael McDonough) verkörpert Glenn Close eine Frau, die sich im 19. Jahrhundert als Mann verkleidet, um als Butler arbeiten zu können. Als Sondervorführung lief Francis Ford Coppolas Horrorthriller TWIXT (Bild: Mihai Malaimare jr.) mit Val Kilmer, und Bruce Dern, in dem ein unter Inspirationsmangel leidender Schriftsteller während einer Promotiontour in einem kleinen Ort von den Geistern seiner Vergangenheit eingeholt wird. Die Kernhandlung zu dieser Geschichte lieferte Coppola sein Traum während einer Istanbul-Reise. Auch Kaurismäki ließ sich während eines Auslandaufenthaltes zu neuen Ideen inspirieren. Reales Vorbild seiner Hauptfigur in LE HAVRE ist ein Schuhputzer in Portugal. «Er tat mir leid, weil er keinen einzigen Kunden hatte», erzählte der finnische Filmemacher. Er habe seine Schuhe gewechselt, nur um ihn zu beschäftigen. «Jeder sollte zumindest einen Kunden haben», unterstrich Kaurismäki, «denn auch ich wünsche mir ein paar Zuschauer für meine Filme.»

Weitere Infos (auf Italienisch und Englisch) auf der Festival-Website www.torinofilmfest.org

Foto oben: Skulptur anlässlich des Filmfestivals auf der Piazza Castello in Turin.
Alle Fotos: Torino Film Festival.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 5

Latest Images





Latest Images